Stadtnachrichten

Bad Dürrheim mit Blühwiesenprojekt gegen das Insekten- und Vogelsterben


Dreiundsechzig Hektar oder 63000 Quadratmeter Land stehen in Bad Dürrheim unter Naturschutz und werden von Landwirten vertraglich abgesichert, extensiv bewirtschaftet, 18 Hektar Land stehen unter Biotopschutz oder besonderem Schutz, weil seltene Arten vorkommen. Und dennoch ist auch die Kurstadt von einem seit dem Jahr 2000 massiv bemerkbaren Insektensterben betroffen. Seit dem vergangenen Jahr, als es auch in unseren Gärten stiller wurde, ist auch das Bewusstsein in der Bevölkerung vorhanden. Weil die Insekten fehlen, geht auch den Vögeln die Nahrung aus. 75 Prozent der Biomasse an Insekten fehlen!
Das merkt man alleine schon bei Autofahrten: wo früher Insekten auf Scheinwerfern und Scheiben klebten, ist heute alles sauber – zu sauber. Noch scheint es Möglichkeiten zu geben, den Prozess umzukehren.
In Bad Dürrheim regt sich seit dem vergangenen Jahr eine Initiative, gestern Abend war die Auftaktveranstaltung für das Projekt „Bad Dürrheim blüht auf“. Staatssekretär Dr. Andre Baumann vom baden-württembergischen Umweltministerium bestärkte den Bürgermeister, aber auch die Bürger, Landwirte und Unternehmen, gemeinsam noch mehr zu tun. Bürgermeister Walter Klumpp rief Landwirte auf, Flächen für das Projekt zur Verfügung zu stellen, aber auch private Grundstückseigentümer könnten sich mit ihren Hausgärten beteiligen. In Oberbaldingen zum Beispiel sollen vier Hektar Land als Mähwiese nur noch extensiv genutzt werden, in Biesingen soll eine ortsnahe Fläche ökologisch optimiert werden und auch beim Landesförderprogramm ELR hat sich die Stadt verpflichtet, Bad Dürrheim ökologisch aufzuwerten.
Landwirte und Hausgartenbesitzer können sich vom Bad Dürrheimer Umweltbüro (Telefon 0771 9291-505) beraten lassen, wenn sie einen Blühstreifen einrichten wollen. Der städtische Bauhof und die Kurgärtnerei haben sich schon umorientiert, wenngleich hier noch Luft nach oben ist. Bauhofleiter Michael Liedtke sagte: „Wichtig ist, dass wir die Mitarbeiter schulen, denn bei uns machen nicht nur Gärtner die Grünpflege“.
Bürgermeister Walter Klumpp drückte klar das Ziel aus, den Artenschutz auch lokal auf Gemarkung Bad Dürrheim voranzubringen, „um unseren Kindern eine Natur zu hinterlassen, die lebenswert ist“. Im Rathaus diskutiere man, sich für ein Modellprojekt des Landes zu bewerben.
Staatssekretär Dr. Andre Baumann lobte Bad Dürrheim für seine bisherigen Anstrengungen, etwa als Naturwaldgemeinde, zudem war gestern Abend landesweit die erste kommunale Auftaktveranstaltung im Rahmen des Landesprogrammes zur Stärkung der biologischen Vielfalt in Bad Dürrheim. Wichtig ist dem Umweltministerium die Zusammenarbeit mit den Landwirten, man wolle nicht mit dem Finger auf die Bauern zeigen, sondern zusammen mit ihnen lösungsorientiert sprechen.
„Wir tragen für viele tausend Arten Schmetterlinge und Käfer in Baden-Württemberg Verantwortung“, erklärte der Staatssekretär und gelernte Biologe. Er erkannte auch die Krux: „Wenn die Landwirte nicht den Preis bekommen, der fair ist für ihre Produkte, wirkt sich das auf die Landschaft aus!“ Er forderte die Bürger auf, regional und ökologisch einzukaufen und nicht nur auf die billigsten Lebensmittel zu schauen. „Kaufen Sie fair“, rief er auf und meinte: auf faire Preise achten.
Die Insekten seien die Verlierer der heutigen Landbewirtschaftung, Pestizideinsatz und großflächiger Anbau von Feldfrüchten und Mais führten zu einem dramatischen Rückgang von Vögeln und Fledermäusen, „ein ökologisches Armageddon“ nannte Dr. Andre Baumann die Situation. Mehr als die Hälfte der Arten seien gefährdet. „Es geht um unsere Heimat, dafür kämpfen wir“, so Andre Baumann.
In Bad Dürrheim verzichten die Kurgärtnerei und der städtische Bauhof auf Pestizide. Gleiches gilt für den Gifteinsatz im städtischen Wald. Mit der Firma Stauden-Müller aus Tuningen, die für die Bepflanzung der Friedrichstraße und der Salinenstraße zuständig ist, will man verstärkt blühende Dauerkulturen im städtischen Grün durchsetzen. Schon vor über zehn Jahren wurde in der Friedrichstraße eine Staudenkomposition namens „Silbersommer“ angepflanzt, die weniger gepflegt werden muss. In weiteren Grünbereichen entlang Bad Dürrheims Straßen soll die „Mössinger Mischung“ blühen: Marienkäfer-Mohn, Liebes-Hainblume, Sommer-Adonisröschen, Schlafmützchen, Ringelblume und Leinsamen. In Hochemmingen wird der Fahrbahnteiler und in Sunthausen neu die Fläche am Ehrenmal zu einer Blühwiese verwandelt. „Wir wollen noch weitere Grünflächen mit einer insektenfreundlichen Saat einstreuen und überlegen, welche Grünflächen wir extensiv mähen“, sagte Bauhofleiter Michael Liedtke.
Auch der Bad Dürrheimer Mineralbrunnen will sich mit einer Blühpflanzenfläche auf dem Betriebsgelände beteiligen. Geschäftsführer Ulrich Lössl sagte, das Unternehmen engagiere sich für das Schwenninger Moos, das Umweltzentrum am Neckar und den Verein solidarische Landwirtschaft. Mitarbeiter des Mineralbrunnens leisten während der Arbeitszeit Einsätze beim Unkraut jäten oder Pflanzen auf den Feldern des Vereins. Letztlich wolle man mit vielen kleinen Dingen mithelfen, eine intakte Natur und Umwelt zu erhalten, die auch die Grundlage des Mineralwassers darstelle.
Das Mineralwasser aus Bad Dürrheim sei biozertifiziert, also noch reiner als es das Gesetz verlange, sagte Ulrich Lössl. So sei es frei von Arzneimittel- und Süßstoffrückständen.
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Redakteur / Urheber
Südwestpresse/Die Neckarquelle
Hans-Jürgen Eisenmann